Datenbewusstsein ist ein didaktisches Konzept für die informatische Allgemeinbildung[1][2]. Mit Datenbewusstsein verfolgen wir das Ziel, Lernende verschiedener Altersstufen allgemeinbildender Schulen zu befähigen, in einer Interaktion mit einem datengetriebenen digitalen Artefakt zu erkennen und zu verstehen, welche Daten über sie erhoben, wie sie verarbeitet und zu welchen Zwecken sie verarbeitet und verwendet werden. Als Leitfrage kann dazu dienen: "Wo, wie und wozu werden persönliche Daten erhoben und verarbeitet?" Aktuelle Studien zeigen auf, dass Lernende ein mangelndes Verständnis und Bewusstsein über diese Prozesse der Datenerhebung und -verarbeitung haben.

Kurzer Überblick zum Konzept Datenbewusstsein

Modellhafte Darstellung zum Konzept Datenbewusstsein, entnommen aus [1]

Im Alltag interagieren wir tagtäglich mit digitalen Artefakten, die persönliche Daten erheben und verarbeiten. Dessen Funktionsweise ist häufig "datengetrieben", sie verändern also etwa nach Erhebung und Verarbeitung von Daten die Ausgabe während der Interaktion. Diese Artefakte nennen wir datengetriebene digitale Artefakte. Beispiele dafür sind etwa Suchmaschinen, Social Media Plattformen oder Streamingdienste. Bei all diesen Beispielen (allgemein: bei datengetriebenen digitalen Artefakten) werden Daten erhoben und generiert sowie verwendet und verarbeitet.

Die (persönlichen) Daten werden auf verschiedene Art und Weisen erhoben oder generiert und für verschiedene Zwecke verarbeitet und verwendet. Dazu unterscheiden wir zwischen explizit und implizit erhobenen Daten und die Verarbeitungs- und Verwendungszwecke unterscheiden wir hinsichtlich primären und sekundären Zwecke. Die erhobenen Daten werden mit verschiedenen Methoden und Technologien (u.a. des maschinellen Lernens) verarbeitet, um etwa Datenmodelle zu erzeugen. Diese Datenmodelle sind oft digitale Doppelgänger, die durch Zusammensetzen - v.a. implizit - erhobener Daten konstruiert werden und den Nutzer bzw. die Nutzerin anhand spezifischer Merkmale modellhaft darstellt und widerspiegelt.

Explizit und implizit erhobene Daten

Im Konzept Datenbewusstsein wurden die Begrifflichkeiten der explizit und implizit erhobenen Daten eingeführt[1][2]. Diese stehen in der Regel in der Verbindung zum Nutzenden - oft stellen sie personenbezogene Daten dar. Die explizit erhobenen Daten sind jene, die der Nutzende mit seiner Handlung intendiert erzeugt, also direkt und aktiv (i.d.R.) selbst eingegeben bzw. erzeugt hat. Darüber sind sich Nutzende in der Regel bewusst. Dies sind zum Beispiel bei Social Media Plattformen gepostete Texte und Bilder, bei einer Suchmaschine etwa der Suchbegriff oder beim Telefonieren über das Mobilfunknetz die Telefonnummer desjenigen, den man anrufen möchte. Im Gegensatz dazu, werden implizit erhobene Daten nebenher zur eigentlichen Handlung erhoben oder generiert - der Nutzende intendiert diese Datenerhebung also in der Regel nicht. Die implizite Datenerhebung geschieht durch Beobachtung (Tracking) oder Verarbeitung bereits erhobener Daten. Dieser Datenerhebung sind sich Nutzende oft nicht bewusst. Im Beispiel der Social Media Plattform sind dies etwa Likes von und Klicks auf Beiträge, bei der Suchmaschine etwa Klicks auf Suchergebnisse oder beim Telefonieren über das Mobilfunknetz etwa Standortdaten der verbundenen Basisstationen.

Primäre und sekundäre Zwecke der Verarbeitung und Verwendung

Im Konzept Datenbewusstsein wurden ebenfalls die Begrifflichkeiten der primären und sekundären Zwecke der Verarbeitung und Verwendung erhobener Daten eingeführt[1][2]. Diese beziehen sich auf die Verarbeitung und Verwendung von Daten über einen Nutzenden, die bei der Nutzung von datengetriebenen digitalen Artefakten erhoben werden. Primäre und sekundäre Zwecke beziehen sich auf die Intention, mit der diese zuvor erhobenen Daten verarbeitet und verwendet werden. Primäre Zwecke umfasst, dass die erhobenen Daten dazu verarbeitet und verwendet werden, um das datengetriebenen digitalen Artefakten mit den Features anbieten zu können. Diese beziehen sich auf einer Nutzerperspektive auf die Verarbeitung und Verwendung: Die Daten werden verarbeitet und verwendet, um Nutzenden Features anbieten zu können. Im Beispiel der Suchmaschine ist dies etwa das Anzeigen von Suchergebnissen. Auch inbegriffen wäre, wenn die Suchergebnisse personalisiert geordnet werden. Im Sinne des Features für den Nutzenden würde dies bedeuten, dass der Nutzende gerade die Ergebnisse angezeigt bekommt, die für ihn idealerweise relevant sind. Sekundäre Zwecke bedeuten, dass die Daten verarbeitet und verwendet werden, um andere/weitere Zwecke zu verfolgen – z.B. weitere wirtschaftliche oder wissenschaftliche Zwecke. Diese „Zweitverwertung“ der Daten bezieht sich auf einer Anbieterperspektive auf die Verarbeitung und Verwendung der erhobenen Daten: Wozu kann ein Anbieter eines datengetriebenen digitalen Artefakts die erhobenen Daten noch nutzen? Im Kontext von Streamingdiensten (z.B. Spotify) könnte dies etwa umfassen, dass Nutzungsdaten (z.B. gehörte Musik) zur Analyse der Emotionen der Nutzenden verwendet werden.

Konstruktion eines digitalen Doppelgängers

Für die Erhebung und Verarbeitung von Daten ist in dem Konzept Datenbewusstsein die Modellvorstellung eines digitalen Doppelgängers aufgenommen. Dieser beschreibt ein Modell eines Nutzenden, welches auf explizit und implizit erhobenen Daten über den Nutzenden sowie weitere hinzugezogene Daten (bspw. von anderen Nutzenden) basiert und erstellt wird. Ein digitaler Doppelgänger stellt somit eine Sammlung der erhobenen und generierten Daten über den Nutzenden dar. Wichtig zu beachten ist dabei, dass dieser nicht nur einem Profil, wie beispielsweise auf einer Social Media Plattform, entspricht, sondern auch Komponenten hat, die ein Nutzender in der Regel nicht ohne weiteres einsehen kann. Ein digitaler Doppelgänger einer Person wird mit denen anderer in Verbindung gebracht, um bestimmte Datenverarbeitungsprozesse umzusetzen, wie beispielsweise bei Methoden des maschinellen Lernens (exemplarisch im Unterrichtsmodul zu Empfehlungsdiensten aufgegriffen, s.u.). So kann ein digitaler Doppelgänger etwa auch Vorhersagen für das zukünftige Verhalten des Nutzenden enthalten.

Ziel von Datenbewusstsein

Das Konzept Datenbewusstsein zielt nun darauf ab, Lernende dazu zu befähigen, sich die Rolle der Daten bei der Interaktion mit einem datengetriebenen digitalen Artefakt bewusst zu machen, also sich etwa die Erhebung und Verwendung der Daten erklären zu können. Lernende sollen also während einer Interaktion mit einem datengetriebenen digitalen Artefakt in der Lage sein, vom eigentlichen Handlungsinteresse abzusehen und das explizite und implizite Erheben von Daten zu erkennen und zu überlegen, zu welchen primären und sekundären Zwecken diese verarbeitet werden können. Dadurch sollen die Lernenden befähigt werden, datengetriebene digitale Artefakte und die Interaktion mit diesen zu bewerten und letztendlich selbstbestimmt, bewusst und informiert mit diesen interagieren zu können.

Hinsichtlich der Leitfrage „Wo, wie und wozu werden persönliche Daten gesammelt und verarbeitet?“ könnten etwa folgende Fragen gestellt werden:

  • Wo…? In welchen Interaktionen werden Daten gesammelt und verarbeitet?
  • Wie…? Wie werden persönliche Daten in den Interaktionen mit einem datengetriebenen Informatiksystemen erhobenen und generierten und wie werden diese Daten verarbeitet? (bzw. wie können (automatisierte) Datenverarbeitungsprozesse aussehen?)
  • Wozu…? Zu welchen Zwecken werden die Daten gesammelt und verarbeitet; ist es ein primärer Zweck zum Betreiben des datengetriebenen Informatiksystems oder ist es ein sekundärer Zweck?

Unterrichtsmaterialien zur Förderung von Datenbewusstsein in allgemeinbildenden Schulen

Neben dem Konzept Datenbewusstsein entwickeln wir ein Forschungsinstrument und beforschen damit verschiedene Unterrichtsmaterialien, die wir für die Förderung von Datenbewusstsein in den Klassen 5/6 und 8-10 allgemeinbildender Schulen entwickeln. Wir sind sehr an gemeinsamen Erprobungen der Unterrichtsmaterialien und Austausch über das Konzept Datenbewusstsein interessiert; kontaktieren Sie dazu gerne Lukas Höper aus der Didaktik der Informatik.

Nachfolgend listen wir die verschiedenen entwickelten Unterrichtsmaterialien für die Förderung von Datenbewusstsein auf.

Referenzen

  1. 1,0 1,1 1,2 1,3 Höper, Lukas & Schulte, Carsten, (2021). Datenbewusstsein: Aufmerksamkeit für die eigenen Daten. In: Humbert, L. (Hrsg.), INFOS 2021 – 19. GI-Fachtagung Informatik und Schule. Gesellschaft für Informatik, Bonn. (S. 73-82). DOI: 10.18420/infos2021_f235
  2. 2,0 2,1 2,2 Höper, L. & Schulte, C., (2021). Datenbewusstsein im Kontext digitaler Kompetenzen für einen selbstbestimmten Umgang mit datengetriebenen digitalen Artefakten. In: Gesellschaft für Informatik (Hrsg.), INFORMATIK 2021. Gesellschaft für Informatik, Bonn. (S. 1623-132).DOI: 10.18420/informatik2021-136